Mein Weg Nach Kiel
An der Ostsee geboren, hatte ich in meiner Kindheit täglich die Förde im Blickfeld. 1938 wurde mein Vater durch die Marine nach Saarlautern (Saarlouis) kommandiert, welches auch einen Umzug der Familie nach dort nach sich zog, weit weg von der Küste.
1943 beendete ich dort meine Schulzeit; auf dem Arbeitsamt erfuhr ich, dass es eine Möglichkeit gibt in Kiel bei den Deutschen Werken eine Ausbildung zu beginnen. Diese Gelegenheit wollte ich nutzen. Ich entschied mich für den Beruf des Maschinenschlossers. Es folgte ein Eignungstest und eine körperliche Untersuchung.
Der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes von Saarlautern begleitete Anfang April 1943 unsere Reise nach Kiel, wir waren 10 Auserwählte und voller Neugier.
Nach Ankunft im Jugendwohnheim Booksee, wurden wir vom Heimleiter Winand begrüßt und auf unsere Stuben verteilt; mit Seppl Marx und Berti Neumann konnten wir in einer Stube zusammenbleiben.
Der nächste Morgen sah uns auf der Werft in der Lehrwerkstatt MS 1 - einer modern eingerichteten Werkhalle -, im Speiseraum wiederum die Begrüßung durch den Ausbildungsleiter Ob.Ing. Mielsch, in einer Ansprache an uns Neue, - nicht nur aus dem Saarland, sondern aus dem ganzen Reich - betonte er die Bedeutung der Ausbildung auf der Werft. An den zwei folgenden Tagen zeigte man uns, unter sachkundiger Führung, die Werft und ihre Einrichtungen. Für uns waren aber die an den Kaianlagen liegenden U-Boote und Zerstörer von größerer Aufmerksamkeit.
Langsam aber wurden wir nun in der Werkstatt mit den Werkzeugen vertraut gemacht und es begann mit den unproduktiven Lehrarbeiten, welche nach Fertigstellung benotet wurden. Es war ein nicht so leichter Einstieg in das Berufsleben; die Hände mit Pflaster beklebt von den Hammerschlägen die nicht immer ihr Ziel fanden.
Allmählich aber gewöhnte man sich ein, es ordnete sich zu einem kontinuirlichen Tagesablauf. Persönlich fand ich diese Lehre nur als Voraussetzung bei der Marine eine technische Laufbahn einzuschlagen. Es war mein Wunsch zur Marine zu gehen, genau wie mein Vater.
Der erste Schock
Unser Alltag, an den wir uns langsam gewöhnt hatten, lief wie folgt ab. Schlafen im Lager Booksee, wecken, waschen, Frühstück, Flaggenparade. Am Bahnhof bestiegen wir eigene Waggongs, welche an den von Segeberg kommenden Zug angehängt wurden um uns nach Kiel zu bringen. Hier angekommen in Marschformation und Gesang die Eliabethstr. durch Gaarden zum Haupttor der Werft, hier wegtreten und aufsuchen der einzelnen Werkstätten.
Nach Arbeitsende, fanden wir uns in Gruppen wieder am Kieler Kleinbahnhof ein, wo wir unsere bereitstehenden Waggongs aufsuchten. Obwohl wir auf der Werft ein warmes tägliches Essen erhielten, gab es immer nach Ankunft im Wohnheim ein warmes Essen - es war gut und reichlich - vor dem Essen wurde jemand willkürlich aufgerufen welcher einen Tischspruch sagen mußte. Im Anschluß des Essens, Postverteilung und Rückehr in die Stuben jedoch keine Freizeit, alles war durch täglichen Dienstplan geregelt, mal Putz- und Flickstunde, Erledigung der Aufgaben durch die Werkberufsschule, Briefe nach Hause schreiben.
Sport hatte eine dominante Bedeutung. Samstagnachmittag war Großreinemachen angesagt, schrubben von Tisch und Schemeln auch Gartenarbeit zwischen den angelegten Grünflächen.
Zum Lehrplan der Ausbildung gehörte auch die zweimal pro Woche erfolgte Leibesertüchtigung auf den Werkseigenen Sportanlagen im Horst Wessel Park.
An einem Freitag, den 14.Mai 1943, wir kamen mit frohem Gesang zurück zur Werft, währen des Umkleidens zur Mittagspause - es sollte "Königsberger Klops" geben - wir saßen schon an den Tischen, da ertönten die Sirenen zum Fliegeralarm, wir beeilten uns die Schutzräume aufzusuchen. Uns zugewiesen waren die Kammern in den Kaianlagen zur Landversorgung von Schiffen am Liegeplatz 16. Wir wunderten uns, denn es gab bisher nur Nachtangriffe der RAF auf Kiel.
In unserem Schutzraum gab es Drahtfunk, da konnte man die Durchsage hören, "tack, tack... Achtung, Achtung, ein feindlicher Kampfverband befindet sich über Neumünster im Anflug auf Kiel...", dann nur noch krächzend, "...die erste Welle hat Kiel erreicht, luftschutzmäßiges Verhalten ist unbedingt erforderlich!" Was dann erfolgte ist mit Worten nur schwer wiederzugeben.
Krachen, bersten, ungeheuer laute Detonationen, das mußte sehr nahe gewesen sein. Man schien im Schutzraum zu schweben und Betongries erfüllte den Raum, aber kein Geschrei der Menschen, es war ein Drang nach Körpernähe zu dem Nächsten. Licht ging aus, wir hatten keine Verbindung nach draussen. Nach etwa einer Stunde hörten wir Stimmen. Aufforderung zum Verlassen der Räume, wir kletterten wieder ins Licht, aber welcher Anblick; die vertaute Umgebung hatte sich verändert, zertörte Gebäude, umgekippter Kran, aufgerissene Erde, Bombentrichter.
Auch unsere Lehrwerkstatt war nicht mehr, der Ob.Ing Mielsch mit einem tschechischen Stahlhelm stand auf den Trümmern und redete unverständliches Zeug. Der Betriebsingenieur Völkerm, der Meister Michaelis, der Werkzeugausgeber A. Thorn waren tot. Sie waren als Brandwache in der Werkstatt verblieben.
Mit LKW der Marine wurden wir nach Booksee gefahren, es erfolgte eine flüchtige ärztliche Untersuchung, dann strenge Bettruhe und Traubenzucker. Das war es dann auch; am darauf folgenden Montag ging es wieder zur Arbeit auf die Werft.